Umfahrung Wattwil:
Ein Generationenprojekt
Natur und eine eindrückliche Bergwelt – dafür steht das Toggenburg im Kanton St.Gallen. Wäre da nicht das immer grössere Verkehrsaufkommen. Die zweite Etappe der Umfahrung Wattwil bringt seit 2022 eine langersehnte Entlastung. Hinter dem Projekt steckt minutiöse und leidenschaftliche Ingenieursarbeit.
Viele Autofahrer nutzen von Wil die Strecke durchs untere Toggenburg über Wattwil, um über den Ricken in den Kanton Zürich zu fahren. Doch auch der Pendlerverkehr hat seit den 1950er-Jahren stark zugenommen, mehr und mehr Einheimische sind auf immer weiteren Strassenstrecken unterwegs. Seit den 1970er-Jahren werden darum im Toggenburg Entlastungsstrassen gebaut. Nach den bereits realisierten Teilprojekten (Ebnat-Kappel, Lichtensteig, Bazenheid sowie Wattwil-Ricken) schliesst jetzt die Strecke zwischen Wattwil und Ebnat-Kappel eine weitere Lücke. «Solch grosse Projekte mit einer komplett neuen Linienführung gibt es nur noch selten», erzählt Mario Waldburger, Projektleiter Trassee, «Dass wir bei einem solch wichtigen Generationenprojekt dabei sein dürfen, macht mich stolz.»
Die neue, 3,4 Kilometer lange Umfahrungsstrasse beginnt beim Portal des Brenditunnels und führt über den direkt anschliessenden Kreisel südlich an Wattwil vorbei und mündet bei Stegrüti in die Umfahrungsstrasse Ebnat-Kappel. Die Projektierung und Umsetzung von Linienführung sowie Trasse- und Kunstbauten realisierte die Ingenieursgemeinschaft W2 (Wälli AG Ingenieure und Schällibaum AG) zwischen 2018 und 2022. «Bereits bei der Offerteingabe war klar, dass wir hier ein einmaliges und anspruchsvolles Projekt vor uns haben», sagt Mario Waldburger nicht ohne eine gewisse Begeisterung: «Die Umfahrung beinhaltete eine Vielzahl von Bauobjekten, die aufeinander abgestimmt werden mussten – somit galt es bei der Trassierung, die verschiedenen Rahmenbedingungen bestmöglich zu berücksichtigen. Ich mag anspruchsvolle Projekte, die Knowhow aus verschiedenen Fachbereichen erfordern.»
Topografische Herausforderungen
Bestehende Strassen, Bäche, Hangeinschnitte; ein Auf und Ab, das es möglichst umweltverträglich und sicher zu durchqueren gilt. Die von den Ingenieuren präsentierte Lösung beinhaltete schliesslich acht Brücken, zwei Unterquerungen, einen Viehdurchlass, den 313 Meter langen Lochweidli-Tunnel sowie die 365 Meter lange Thurbrücke. «Wie üblich bei Bauvorhaben dieser Grössenordnung, wurde die räumliche Linienführung in Form eines Road Safety Audits von Experten überprüft», erklärt Waldburger.
Im August 2018 begann der Bau. 16 Situationsabschnittspläne lieferten die Grundlage dafür. Wo fängt man da an? «Tatsächlich verlangte die Ausführungsplanung sowie die Koordination aller Beteiligten sehr viel Teampower. Je besser man sich jedoch vorbereitet, desto weniger geht später schief», ist Mario Waldburger überzeugt. «So haben wir zum Beispiel das komplette Trassee in 3D aufbereitet. Dies machte uns in der Ausführung viel effizienter – die Baumaschinen konnten so für bestimmte Arbeiten anhand digitaler GPS-Daten arbeiten.»
Möglichst landschaftsverträgliche Linienführung
Neben der bestmöglichen Organisation und effizienten Umsetzung galt es bei der neuen Strasse zwischen Wattwil und Ebnat-Kappel zudem, ökologischen Anforderungen Rechnung zu tragen. «Eine bestmögliche visuelle und ökologische Eingliederung in die Landschaft», war ein Zuschlagskriterium des Kantons St.Gallen bei diesem Projekt. Das beinhaltete unter anderem, das Flachmoor Bleiken zu umfahren sowie die bestehenden Feuchtgebiete Lochweidli und Scheftenau aufzuwerten und auszuweiten. «Insgesamt hoben wir rund 120’000 Kubikmeter Material aus, das wir andernorts wieder aufschütteten, stellenweise bis zu 12 Meter hoch», führt Waldburger aus.
Vier Jahre dauerten die Arbeiten, bis die neue Umfahrung schliesslich eröffnet werden konnte. «Diese Umfahrung ist ein typisches Wälli-Projekt», sagt Waldburger und führt aus: «Von der Studie bis zur Ausführung über sämtliche Ingenieurdisziplinen. Ein solches Projekt erfordert ein hohes Mass an Koordinationsfähigkeit und Erfahrung in der interdisziplinären Teamarbeit. Alles dies repräsentieren wir.»
Persönlich an einem solch grossen Projekt beteiligt zu sein, lässt auch Waldburgers Herz höherschlagen: «Es ist ein Projekt mit Strahlkraft. Und es fordert einen. Die persönlichen Kompetenzen und Fähigkeiten steigen mit jedem herausfordernden Projekt. Das generiert Wissen und Erfahrung, das wir bei künftigen Aufträgen wieder einsetzen können.»
Auch die rund 8700 Einwohnerinnen und Einwohner von Wattwil freut’s: Denn die Umfahrung hat die lang ersehnte Entlastung und damit mehr Lebensqualität gebracht: Durch ihren Dorfkern fahren nun 7000 Autos pro Tag weniger, das entspricht einer Verkehrsreduktion von 50 Prozent.